„Die Wohnungskrise bedroht die Funktionsfähigkeit ganzer Metropolen“, kommentierte jüngst die Süddeutsche Zeitung. Ich fragte mich, wie sieht es in meiner Lieblingswohnstadt Düsseldorf aus?
Immerhin gibt es ja in der NRW-Landeshauptstadt einige Initiativen – etwa des Mietervereins, des „Bündnis Wohnraum“ oder der SPD. Die hat mit einem politischen Tauschhandel für die Zusage zum Milliarden-Euro-teuren Opern-Neubau die Schaffung von 8000 neuen Wohnungen versprochen bekommen.
Wohnungsbau-Ziel nicht erreicht
Die Wohnungsmarktanalyse des Pestel-Instituts aus Hannover zeigt, woran es Düsseldorf aktuell fehlt: 4690 Wohnungen. Außerdem müssen in den kommenden Jahren jährlich mindestens 3880 Wohnungen neu gebaut werden, um die Lücken zu schließen. Im Jahr 2023 wurden lediglich 2063 neue Wohnungen, wie aus der NRW-Landesstatistik hervorgeht, gebaut.
Der größte Skandal ist allerdings, dass nach Schätzungen von Experten, die sich mit der Stadtentwicklung beschäftigen, von den vorhandenen rund 360.000 Wohneinheiten etwa 10 Prozent leer stehen. Das sind immerhin 36.000 Wohneinheiten. Allein in der Düsseldorfer Altstadt sollen 500 Wohnungen entmietert sein.
Von der Stadtverwaltung Düsseldorf und Oberbürgermeister Dr. Keller ist genauso wenig Hilfe zu erwarten wie von den Düsseldorfer Parteien. Das SPD-Projekt ist bis jetzt nicht in trockenen Tüchern, es gibt keine Große Koalition aktiver Wohnraumbeschaffer und auch keine Konzepte. Der Hausbesitzerverein hält sich ohnehin bedeckt.
Teuerste Oper der Welt
In Düsseldorf kann man zwar den Ruf der längsten Theke der Welt seit Jahrzehnten hochhalten. Eine Fußball-Europameisterschaft zusammen mit 1600 unterbezahlten Volunteers organisieren. Die vermutlich teuerste Oper der Welt bauen und auch die größte Kirmes am Rhein mit den längsten Stadtteilstaus Deutschlands organisieren. Aber dass alle Bürgerinnen und Bürger vernünftig wohnen können, schafft man nicht. Wirklich engagiert sind in Düsseldorf lediglich der Mieterverein, ein Bündnis Wohnraum und einzelne Haus-Initiativen, die gegen Entmietung und zu hohen Mieten kämpfen.
Bei 5000 fehlenden Wohnungen darf man von rund 20.000 Bürgerinnen ausgehen, die dringend eine Wohnung benötigen. Eine Stadt, die solche Zahlen ignoriert, ist nicht mehr lebenswert. Das hat auch die Studie „Quality of Living Ranking 2024“ des Beratungsunternehmens Mercer ergeben, die Düsseldorf unter den attraktivsten Städten Europas von Platz 10 auf Platz 16 degradierte. Mercer-Manager Kurth sagt: „Insbesondere die angespannte Wohnsituation wirkt sich negativ aus.“
Trauerspiel der Politik
Grundsätzlich ist es ein Trauerspiel auf dem Wohnungsmarkt, das Politik und Stadtverwaltung in der NRW-Landeshauptstadt zu verantworten haben. Sie haben nicht rechtzeitig gegengesteuert. Sie haben unter anderem Bau- und Immobilienkonzernen riesige Grundstücke überlassen, die lieber an den enorm steigenden Grundstückspreisen verdienen wollen, als Wohnraum zu schaffen.
Ein großes Problem sind die jährlich bombastisch steigenden Grundstücks- und Gebäudepreise. Für Vermieter lohnt es sich eigentlich nicht mehr, Wohnungen zu vermieten. Einfacher ist es für die Besitzer, wenn Sie die Wohnungen leer stehen lassen und nur die Wertsteigerung für Haus und Grundstücke in ihre Kalkulationen einbeziehen. Leer stehende Wohnungen und Häuser bringen Profit, ohne dass man nur eine Hand rühren oder sich über unzufriedene Mieter ärgern muss.
Überall leer stehende Wohnungen
Der Umsatz des Düsseldorfer Grundstücksmarktes in Höhe von 5,7 Milliarden Euro ist beispielsweise im Jahr 2021 gegenüber dem Vorjahr um 25 Prozent deutlich gestiegen. Einfamilienhausgrundstücke sowie Grundstücke für Mehrfamilien- oder Geschäftshäuser haben eine Preissteigerung von bis zu 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen.
Schätzungen gehen davon aus, dass in Düsseldorf 36.000 Wohnungen leer stehen. Wenn ich aus dem Küchenfenster meiner Wohnung an der Düsseldorfer Straße schaue, sehe ich gegenüber ein Haus mit mindestens sechs leer stehenden Wohnungen – seit Jahren.
Wenn ich auf der anderen Seite hinaus sehe, vom Wohnzimmer aus, sehe ich ein Haus an der Rheinallee mit rund acht leer stehenden Wohneinheiten. Die Mieter wurden schon vor etwa fünf Jahren hinausgeworfen. Seitdem wird immer mal wieder ein wenig renoviert. Das war’s.
Stadt lässt Mieter allein
Der Mieterverein beklagt außerdem die extrem hohen Mieten in Düsseldorf. Jede vierte auf dem Düsseldorfer Wohnungsmarkt angebotene Mietwohnung ist laut einer Untersuchung des Mietervereins unzulässig teuer. Im Edel-Stadtteil Oberkassel, beliebte Neuheimat von Neureichen, Fußballspielern und ihren Trainern sowie Betreibern von Chi-Chi-Restaurants, ist es jede dritte Wohnung. Darunter leiden insbesondere Familien mit Kindern, denn neben kleinen Wohnungen sind vor allem auch große Wohneinheiten über 100 Quadratmetern überdurchschnittlich teuer.
„Das Ziel, dass die Landeshauptstadt über nennenswert bezahlbaren Wohnraum verfügt, wird so verfehlt“, urteilt der Vorsitzende des Mietervereins Hans-Jochem Witzke. „Die Stadt Düsseldorf ist gut beraten, die Mieterinnen und Mieter nicht allein im Regen stehenzulassen. Vielmehr sollte sie aktiv dazu beitragen, dass nicht immer wieder gegen die gesetzliche Mietpreisbremse verstoßen wird.“
Verstoß gegen Mietpreisbremse
Im Auftrag des Düsseldorfer Mietervereins hat ein Analyseunternehmen 22.109 Inserate mit Wohnungen ausgewertet, die in den Jahren 2019 bis 2022 angeboten worden sind. Bei über 5.700 Wohnungen – 26 Prozent – liegt der begründete Verdacht auf einen Verstoß gegen die Mietpreisbremse vor. „Der tatsächliche Anteil der Verstöße bei online inserierten Wohnungen dürfte sogar noch höher liegen, da die angewandte Methodik überwiegend zugunsten des Vermieters rechnet“, sagt der Autor der Studie, Martin Peters.
Der Paritätische Gesamtverband veröffentlichte gerade eine bahnbrechende Berechnung zur Wohnarmut in Deutschland. Die Ergebnisse zeigen ein alarmierendes Bild: Deutlich mehr Menschen als bisher angenommen leben in Armut, wenn die Wohnkosten berücksichtigt werden. Die steigenden Mieten belasten primär Menschen mit niedrigem Einkommen überproportional. Viele Haushalte geben inzwischen mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Wohnkosten aus – manche sogar mehr als die Hälfte.
Wohnen ist der Armutstreiber
Von Wohnarmut betroffen sind insgesamt 21,2 % der Bevölkerung (17,5 Millionen Menschen). Das sind 5,4 Millionen mehr Armutsbetroffene als nach konventioneller Berechnung. Massiv betroffene Gruppen sind:
- Menschen ab 65 Jahren: 27,1 % Armutsquote
- Junge Erwachsene (18–25 Jahre): 31 % Armutsquote
- Alleinerziehende: 36 % Armutsquote
- Alleinlebende: 37,6 % Armutsquote (im Rentenalter sogar 41,7 %)
- Erwerbslose: 61,3 % Armutsquote
„Wohnen entwickelt sich mehr und mehr zum Armutstreiber“, erklärt Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. „Die Schere geht durch die steigenden Wohnkosten immer weiter auseinander.“
Hintergrundberichte zu meinem Spezialgebiet „Vermisste Menschen und die Situation ihrer Angehörigen“ im Experts Circle von Focus-online.
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Fotos: Statistik Stadtteile Düsseldorf, nicht honorierte, zur Dokumentation veröffentlichte Info-Anzeige des Mietervereins und Foto mit Mietervereins-Geschäftsführer Claus Nesemann (links), Vorsitzender Hans-Jochem Witzke: alle Mieterverein Düsseldorf
Fotoporträt Jamin: Fyeo