In dieser Woche besuchte ich Stuttgart. Wolfgang Heim, der Moderator der Hörfunksendung „Leute“ von SWR1, hatte mich eingeladen zum Gespräch.
Es ging um mein neues Buch “Ohne jede Spur. Wahre Geschichten von vermissten Menschen” und die Situation der Angehörigen von Verschwundenen in Deutschland. Hier gibts das Video zum zweistündigen Talk.
Ein ganz besonderes Gefühl
Bei diesem Besuch hatte ich ein ganz besonderes Freizeiterlebnis. Da ich einen Tag vor der Morgensendung anreiste, bummelte ich über die Königstraße. Das ist die große Einkaufsmeile in Stuttgart. Viele Menschen flanierten hier, machten ihre Einkäufe oder genossen das schöne Sommerwetter.
Es brauchte einige Zeit, bis mir klar wurde, warum es mir bei diesem Spaziergang so gut ging. Ich verspürte ein ganz besonderes Gefühl. Ich fühlte mich leicht, erholt, ohne Stress und irgendwie ganz besonders.
Viele Straßen ohne Autos
Und dann merkte ich es: In der City der Mercedes-Stadt gibt fast keine Autos. Das Stuttgarter Zentrum ist weitgehend Auto-frei. Jedenfalls die schier endlos lange Königstraße und auch deren Nebenstraßen. Straßen ohne Autos vermitteln ein Gefühl von Ruhe, Sicherheit, Entspannung.
Die Verkehrsberuhigung führt dazu, dass es in der City viele Erholungsgelegenheiten gibt. Menschen sitzen auf Rasenflächen. Sie bevölkern die Terrassen von Cafés und Restaurants. Sie spielen Boule. Sie sitzen auf Bänken und plaudern miteinander.
DUS City kaum Erholungswert
Das ist der Unterschied zu meiner Lieblingswohnstadt Düsseldorf. Hier hat man es nicht einmal geschafft, den Autoverkehr von der Königsallee zu verbannen. In DUS ist das Zentrum laut und unruhig. Es hat kaum Erholungswert, kaum echte Ruhezonen.
Vermutlich liebe ich deswegen Oberkassel, meinem Lieblingswohnstadtteil. Dort gibt es zumindest die Rheinwiesen und seine Erholungsmöglichkeiten.
Konsum im Vordergrund
In Düsseldorf existiert die City für den Konsum. Da macht man Geschäfte. Da sollen sich die Leute nicht erholen und Spaß haben, sondern vorfahren, einkaufen und wieder abfahren.
Da gibt es nur wenige Außenterrassen von Cafés oder Restaurants. Das Grün ist verdrängt, Beton und Bau- und Pflastersteine dominieren. Das Bild der Stadt ist kalt. Überall Hektik und Verkehr.
Stuttgart hat mich überrascht
Selten hat mich eine Innenstadt wie die von Stuttgart so überrascht. So sehr für sich eingenommen. So sehr überzeugt von der Wohn- und Lebensqualität. Ich kann sehr gut verstehen, dass sich die in Menschen in Stuttgarts Innenstadt gerne aufhalten.
Als ich abends zum Essen ausgehe, kann ich das feststellen. Überall in der Stadt sitzen die Menschen auf den Freiterrassen und essen und trinken und plaudern gemeinsam mit Freunden und Bekannten.
Die stressfreiste Stadt
Eine sympathische Kellnerin im “Deli”, einem gemütlichen Café-Restaurant am Hans-im-Glück-Brunnen, erzählt mir von einer Umfrage. Sie habe ergeben, dass Stuttgart die stressfreiste Stadt Deutschlands sei.
Ich habe das überprüft, wer wann wo diese Umfrage gemacht hat. Den Bericht dazu habe ich in der Stuttgarter Zeitung gefunden. Hier:
Stuttgart ist nach einer Studie der stressfreiste Ort unter 150 getesteten Städten auf der Welt.
Altstadt eng und bierselig
Während wir in Düsseldorf selbst die Rheinpromenade unter Konsumzwang gestellt und ein Restaurant neben das andere gezwängt haben, besitzt Stuttgart mitten in der Einkaufsmeile einen großen Schlosspark. Da kann man seine Zeit verbringen, gerade so als wäre die Stadt ganz weit weg.
In Düsseldorf spielt der Hofgarten eine Außenseiterrolle. Die Bäume auf der Kö sind mehr Attrappe als grüne Insel. Der Burgplatz am Rhein besteht aus Pflastersteinen, damit Veranstalter dort auch einfach ihre Buden aufstellen können. Die Altstadt ist eng und laut und Altbier-selig. Da ist kaum Luft zum Atmen, ganz besonders nicht an warmen Tagen im Sommer.
Ruhe statt Konsumterror
Düsseldorf muss sich fragen, wo es in Zukunft hin will. Wollen wir den Menschen mehr Lebensqualität bieten? Oder brauchen unsere Autos mehr Parkraum direkt vor den Geschäften? Reicht der Kaufrausch in gefühlsarmen Konsumtempeln zum Glück?
Die Einkaufszentren von Düsseldorf und Stuttgart unterscheiden sich gewaltig. Hier der Autolärm und die Betonkulissen und simpler Konsumterror. Dort die Ruhe und die Gelassenheit im Umgang mit den natürlichen Bedürfnissen des Menschen nach Verweilen und Genießen.
#Düsseldorf #Stuttgart #jaminautor #Stadtentwicklung #ZukunftDeutschland #Straßenverkehr
(Zeitgleich veröffentlicht in meinem Freitags-Blog „Auf einen Cappuccino“ im Wirtschaftsportal Business-on.de)
Düsseldorf – where every man is a car?
Die erste Amtshandlung des 1999 gewählten Oberbürgermeisters Joachim Erwin war die Rückführung des Fahrradwegs auf der Luegallee in eine zweite Fahrspur. Etliche Oberkasseler nahmen das Wahlgeschenk dankbar an, sahen sie doch nicht länger Radwegrot auf der Luegallee. Denn diese vom rot-grünen Verkehrswahn befreite Spur diente fortan auf etlichen Abschnitten als Parkstreifen 2. Reihe. Für den Besuch der Restaurants und Einkaufsläden. Botschaft war. das Nadelöhr Luegallee zu beseitigen, sodass der tagtägliche Rückstau bis Neuss Geschichte blieb. ???
Die Visionen einer verkehrsberuhigten Innenstadt, eines fahrradfreudlichen Düsseldorfs, von autofreien Flanierzonen bleiben am Horizont des Träumens. Das Auto dominiert und terrorisiert Düsseldorf. Alter Baumbestand am Martin-Luther-Platz wurde für eine weitere Tiefgarage gefällt. Die mit dem Kö-Bogen geplante Anbindung der Landskrone an die Kö hat keine zusätzliche Begrünung, aber weitere Stellflächen für PKW im Schatten der architektonisch größten Hochgarage Düsseldorfs, des Libeskind-Zikkurats, geschaffen. Die Terrassencafés an der Kö erfreuen sich höchster Beliebtheit. Nur hier werden Drinks und Appetithäppchen serviert, die man genüsslich im dezibelstarken Smog goutieren kann. Mhhm! Smells like Ferrari or Maserati? No, my friend. Lamborghini, a little bit sweet sour.
Dass die Rheinbahn die Erlaubnis bekam, weitere U-Bahn-Röhren für die Wehrhahnlinie zu buddeln, grenzt schon an ein Wunder. Denn der Underground in Düsseldorf ist einzig für das Auto reserviert, Tiefgaragen und tiefgelegte Schnellspuren.
Als „Düsseldorfer Jung“, Jahrgang 45, kenne ich meine Heine-Stadt schon lange nicht mehr und meide Königsallee und Altstadt wie der Teufel das Weihwasser. Es ist zum Heulen traurig, wie sich diese einst wunderschöne Stadt sich dem Mammon ergeben hat. Selbsternannte Eliten, deren pathologisches In-Eins-Werden mit dem Klimbim, den sie blöde zur Schau stellen, ergötzen sich Prosecco schlürfend exhibitionistisch an den bewundernden Blicken der vorbeiziehenden Menschenmassen. In stillen, einsamen Stunden besuche ich zuweilen meinen zerbrochenen „Freund“ auf dem Schwanenmarkt und muß an seine Worte denken: „Ach, teurer Leser, wenn du über jene Zerrissenheit klagen willst, so beklage lieber, dass die Welt selbst mitten entzweigerissen ist.“ Was bleibt ist Trauer. Selbst Adornos Erkenntnis, daß es kein richtiges Leben im falschen gäbe, ist nur ein schwacher Trost für einen enttäuschten Liebhaber.
Die Kommentare zeigen mir, dass ich offensichtlich einen Nerv getroffen habe, der auch andere Düsseldorfer schmerzt. Ja, unsere City muss schöner werden…