Es ist schwer, an das Geld anderer Leute heranzukommen, sagte meine Mutter früher. Sie musste es wissen – sie war selbstständig. Gelegentlich kassierte ich für sie die Rechnungen säumiger Kunden. Das fiel mir nicht schwer, denn für eine befreundete Familie, die einen Reparaturservice für Fernsehgeräte betrieb, machte ich das schon nahezu professionell.
Ich war neun Jahre alt und betätigte mich als Schuldeneintreiber. Dafür bekam ich 1,50 Deutsche Mark pro Stunde, und mein Auftraggeber hatte etliche unbezahlte Rechnungen weniger. Es lohnte sich also für uns beide. Nach der Schule holte ich mir den Stapel Rechnungen im Büro meines Auftraggebers ab, setzte mich auf mein Fahrrad und fuhr zu Kunden, die sich ihr Fernsehgerät auf Pump hatten reparieren lassen.
Taschengeld aufgebessert
Offenbar hatte ich eine einnehmende Ausstrahlung. Mein Auftraggeber war stets zufrieden mit meiner Arbeit. Er beschäftigte mich immerhin einige Jahre lang, meist an mehreren Nachmittagen im Monat. So ersparte er sich die Kosten für einen Rechtsanwalt und mögliche Gerichtsverfahren.
Heutzutage ist es natürlich einfacher, ausstehende Rechnungen einzutreiben. Man schickt einfach eine E-Mail und droht dem Adressaten mit einem Mahnverfahren und hohen Kosten. Es gibt inzwischen etliche Geldeintreiber, die das professionell übernehmen.
Schuldeneintreiber mit Plan
Eine meiner wichtigsten Lehren aus meiner Zeit als Schuldeneintreiber war, dass man Geduld und Ruhe benötigt, wenn es ums Geld geht. Wenn ich damals etwa einen Kunden nicht antraf, wartete ich schon mal eine Stunde vor der Tür, bis jemand nach Hause kam. Ein Schuljunge, der als Schuldeneintreiber vor einer Wohnungstür sitzt, fördert ja nicht gerade den guten Ruf in der Nachbarschaft.
Ruhe und Geduld zählen auch heute zu meinen Stärken. Sie helfen mir, unnötige Kosten zu vermeiden. Vor einigen Monaten schickte mir eine Hamburger Rechtsanwaltskanzlei eine Zahlungsaufforderung. Angeblich hätte ich gegen das Urheberrecht verstoßen, weil ich in meiner Kolumne einen Artikel aus der Süddeutschen Zeitung über die AfD verlinkt hatte. Rund 3000 EUR wegen der Urheberrechtsverletzung sowie Zinsen und Gebühren sollte ich zahlen.
Anwaltsmail wenig wert
Ich bewahrte Ruhe und meldete mich einfach nicht. Inzwischen erhielt ich sieben Zahlungsaufforderungen. Ich wartete ab, denn ich weiß: Mails eines Anwalts sind zunächst einmal nicht mehr wert als die Bits und Bytes, aus denen sie geschrieben sind. Erst wenn ein Gericht aktiv wird, geht es um Wahrheit und Geld.
Vor einigen Monaten bekam ich ein ähnliches Schreiben von einer Agentur, die offensichtlich ebenfalls aus Urheberrechtsverletzungen ein Geschäftsmodell gemacht hat. Wieder ging es um einen Link zu einem Artikel der Süddeutschen Zeitung über die AfD in meinem Blog. Dieses Mal summierte sich die Forderung auf weit über 10 000 EUR. In mehreren E-Mails wurde ich wiederholt aufgefordert, endlich zu zahlen oder mich zumindest zu melden.
Eine neue Einnahmequelle
Solche Zahlungsaufforderungen im Zusammenhang mit angeblichen Urheberrechtsverletzungen sind inzwischen offensichtlich eine einträgliche Einnahmequelle für Rechtsanwälte. Denn es gibt nicht nur die Kläger – im Internet bieten wiederum andere Anwälte ihre Unterstützung an und werben damit, solche Forderungen in Verhandlungen deutlich zu senken.
Ich will aber gar nicht zahlen. Ich möchte auch nicht verhandeln. Ich warte die Mails der Rechtsanwälte einfach ab und lege sie auf meinem Computer in einen speziellen Ordner für Streitigkeiten ab. Ich bin rechtsschutzversichert und außerdem Mitglied der Gewerkschaft Verdi. Ich könnte mir einen Rechtsanwalt leisten, möchte aber einfach sehen, wie weit man mit solchen Forderungen gehen würde. Bislang bin ich noch nicht verklagt worden.
Erster Gedanke: Cyberbetrüger
Dasselbe mache ich jetzt mit meinem Steuerberater. Der kam im Juni 2025 auf die Idee, von mir einen monatlichen Vorschuss auf seine Dienstleistungen zu verlangen, die er nach eigener Einschätzung im Juni 2026 für mich erbringen würde. Normalerweise habe ich die Rechnungen für Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärungen immer nach Fertigstellung bezahlt.
Zuerst dachte ich, ein Cyberbetrüger wolle mich hereinlegen. Aber nach zwei Mahnungen, in denen mein Steuerberater zusätzlich Mahngebühren verlangte, war mir klar, dass er es ernst meinte.
Drohung mit Rechtsabteilung
In mehreren Mails drohte mir der Steuerberater mit Schritten seiner Rechtsabteilung. Zudem kündigte er an, seine Arbeit für mich einzustellen, wenn ich die monatlichen Raten nicht zahle. Dabei erledigt er nicht etwa monatlich überhaupt Arbeiten für mich. Er bekommt meine kompletten Steuerunterlagen jedes Jahr im Frühjahr, um sie für das Finanzamt aufzubereiten.
Auch in diesem Fall bewahre ich Ruhe und reagiere einfach nicht. Ich möchte sehen, wie weit er mit seinen Forderungen gehen wird. Ich bin seit Jahrzehnten selbstständig und weiß, dass es üblich ist, eine Rechnung zu stellen, nachdem man den Auftrag zur Zufriedenheit des Kunden erledigt hat.
Nächster Blog schon gesichert
Auf die Idee, einen monatlichen Vorschuss für eine Dienstleistung zu verlangen, die erst ein Jahr später erbracht wird, wäre ich nie gekommen. Aber möglicherweise gibt es ja sogar gesetzliche Regelungen, die Steuerberatern einen solchen Unsinn ermöglichen.
Mein Steuerberater scheint sich seiner Vorschussforderungen jedenfalls sicher zu sein. Warten wir’s mal in aller Ruhe ab. Stoff für eine weitere Kolumne bietet das Thema auf jeden Fall.
Hintergrundberichte zu meinem Spezialgebiet „Vermisste Menschen und die Situation ihrer Angehörigen“ im Experts Circle von Focus-online.
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