Stadt- und Regionalkrimis gibt es gefühlt Tausende. Trotzdem möchte ich heute einen aus der Masse hervorheben und ihn empfehlen. Es ist der Düsseldorf-Kriminalroman „Der tödliche Kandinsky“ von Jens Prüss.
Die Leserin merkt schnell, dass Prüss ein Schriftsteller ist, der die Menschen liebt. Vertraute Sprache. Sympathische Figurenbeschreibungen. Intelligente Milieustudien. Auf Seite 44 gibt der Autor davon eine Kostprobe, die ich hier gerne serviere, um Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, Geschmack auf das Buch zu machen:
Prüss Originalton: Henris Mutter
Ich bin verblüfft, wie jugendlich sie wirkt. Ich hatte mir eine alte Frau im Hauskittel vorgestellt. Aber Henris Mutter zeigt Knie, wenn auch leicht geschwollen, darüber ein weißes Kleid mit blauem und zitronengelbem Blumenmuster. Mutig hat sie ihr noch volles Haar rötlich gefärbt. Sie führt mich durch einen langen Flur in das Esszimmer. Es riecht leicht nach gebratenen Frikadellen. Zum Fenster hin eine schlichte Sitzbank, ein heller Holztisch und zwei Stühle. Eine Tür führt auf einen kleinen Balkon zum Hinterhof hinaus. In der Sitzecke an der Wand Fotos von Familienangehörigen, das Häkelbild eines weißen Schwans und im A4-Format ein Bild von einem angebissenen Apfel, knallrot gemalt, die Bissstelle quietschgelb.
„Henri?“, frage ich und deute mit dem Kinn auf das Apfel-Bild.
Sie nickt. „Ich mag es sehr. Er war so fröhlich.“ Fröstelnd zieht sie ihre hellblaue Strickjacke um den Oberkörper. Hinten im Atelier könne ich mehr davon sehen.
Düsseldorfs stilsicherster Autor
Ich bin mit Prüss befreundet. Das nur als Vorwarnung, falls mein Lob über sein Buch allzu enthusiastisch ausfällt. Der Autor ist nicht nur Düsseldorfs stilsicherster Autor und ein hochintelligenter obendrein, sondern vor allem auch ein hochsensibler Schreiber.
Wenn ich einen Verriss über sein Buch schriebe, würde er mir das nie verzeihen und nie mehr nächtens mit mir in meiner Lieblingsbar Colette in meinem Lieblingswohnstadtteil Oberkassel abstürzen. Der Autor hat diesen Künstler-Treffpunkt sogar in seinem Buch besucht. Ohne mich, was ich wiederum meinem Freund übel nehme.
Immerhin hat er über Sabine und Michael, den Besitzern dieser prachtvollen Bar, auf etlichen Seiten geplaudert, aber leider für den einen so einen hässlichen anonymen Vornamen wie Manfred gewählt.
Prüss Originalton: Bar Colette
Manfred nickt zufrieden. „Nur gesundes Zeug.“
Ich nippe erneut. „Trinkt sich gut weg. Gefährlich.“
„Die Kunst des Trinkens musst du schon verstehen.“ Sein Lachen klingt leicht boshaft. Dann geht er zum Tisch an der Tür zurück.
„Wer ist er denn?“, frage ich. Ehemaliger Werbefotograf, sagt sie, deshalb auch die Fotos an den Wänden. Überhaupt kämen viele Fotokünstler in diesen Laden. Bei Manfred am Tisch sitze gerade der Wolfgang Sohn. Der mit Hut. Sie zeigt ihn mir. Viele Fotos hier seien von ihm.
„Das Café le Dome von Düsseldorf“, sage ich und bringe sie damit zum Lachen.
Roman im Tarnmäntelchen
Klar, Manfred ist ein blöder Name. Aber Prüss’ gefühlsbetonte und menschenfreundliche Lebensart kann man in diesem Milieu-Roman, der sich das viel zu enge Mäntelchen eines Krimis umgehängt hat, auf vielen Seiten herauslesen.
Bei genauer Betrachtung hat die Düsseldorfer Kunstszene den Krimi einfach in Beschlag genommen. Sozusagen vollkommen verschlungen und für sich reserviert. Reichlich garniert mit verspielt–hinterlistigem wie aus der Pistole geschossenen Humor, den ich an Jens besonders schätze:
Prüss Originalton: Humor
„Was ist denn das?“, rufe ich aus und deute auf den alten Backsteinkoloss.
„Der Schornstein der Bäckerei“, sagt sie.
„Meine Güte“, entfährt es mir, „so viel Schornstein für ein paar Brötchen.“
Das Klein-Paris war früher
Prüss ist kein Krimi-Autor, bei dem das Blut nur so aus den Seiten sprudelt. Das Buch ist vielmehr eine wohltuende Erfindung einer intelligenten Mordsliteratur, bei der die Totenglöckchen nicht permanent klingeln, sondern eher Melodien von Georges Moustaki und Édith Piaf durch die Gassen von Klein-Paris wehen.
Klein-Paris – so wurde Düsseldorf früher gerne genannt, bevor Fußballspieler und ihre Trainer, Unternehmensberater, Modeverkäufer, Restaurantbesitzer, Immobilienmakler und Junggesellenabschieds-Gröler die zahlreichen Künstler aus dem Stadtbild vertrieben.
Immer wieder verirrt sich der Autor in den Beschreibungen der Sujets seiner Orte und lässt Mord Mord sein. Da merkt der Leser, dass Prüss das Geschichtenerzählen liebt und nicht geradewegs zur Lösung seines Kriminalfalls hetzt. Ein Beispiel liefert er bei einem kleinen Abstecher ins Museum K2.
Prüss Originalton: Museum K2
Ähnlich statisch das Porträt des Paares von Henri Rousseau, das in einem pompösen Goldrahmen gleich daneben hängt. La muse, inspirant le poèt zeigt Laurencin und Apollinaire in einem Garten stehend. Sie in wallend blauem Kleid, das auffallend große, fast grobe Gesicht von Blumen umkränzt, die rechte Hand zu einer merkwürdigen Geste erhoben, er in dunkler Hose, Janker und bordeauxroter Weste, links eine Manuskriptrolle, rechts eine Schreibfeder in der Hand. Beide schauen sie verträumt in die Ferne. Eine Schönheit ist sie nicht, denke ich. Allein die lange Nase. Und dann dieses Umstandskleid, als wollte sie Speckröllchen verstecken. Vermutlich stand Apollinaire aber genau auf so was.
Muntere Farbigkeit der Fotos
Garniert ist das Krimi-Stück mit Bildern gleich Gemälden von Prüss Ehefrau Edeltraud. Die Malerin und Fotografin beherrscht die Kunst, Alltäglichkeiten spannend und harmonisch zu inszenieren. Das wird noch verstärkt, durch eine nachträgliche Kolorierung der Fotos. Sie geben den Bildern einen verspielt-munteren Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Themen. Prüss Stadtführung in Bildern zeigt Menschen und Orte – LED-Werbewand und Kreuzherrenkirche, Füchschen-Köbes und Mutter Ey oder die Kneipen Ohme Jupp, Destille und Uerige …
Der Krimi spielt, eine der herausragenden Ideen von Prüss, im Kunst- und Künstlermilieu der Landeshauptstadt NRW. Das bietet für stellenweise abstrakt bis abstruse Handlungen viel Farbigkeit, wie es den meisten Kunstwerken in den gefühlt wohl 1000 Galerien der Stadt auch hervorragend steht.
Ein toter Künstler im Gully
Man denke nur daran, dass die Leiche des Opfers, der hier bereits anfangs eingeführter Henri Keksel, kopfüber in einem Gully gelandet ist. So schön skuril sterben im wahren Leben unsere Künstler selten.
Darauf muss man erst mal kommen, wenn man wie der Prüss als Ich-Erzähler in Person des Lokalreporters Sven Berger von Kneipe zu Restaurant und Cocktailbar und von Galerie zu Künstleratelier und Kunsthalle eilt. Und ja, die in der Realität inzwischen recht trostlose Düsseldorfer Journalisten-Szene gehört ebenfalls zum Mobiliar dieses Romans.
Der Kurzinhalt des Buches
Der Inhalt dieses hinterhältig intellektuell-spannenden Buches aus dem Düsseldorfer Droste Verlag ist, 176 Seiten dick und 18 EUR teuer, schnell erzählt:
Im Morgengrauen findet man den verarmten Künstler Henri Keksel kopfüber in einem Gully. Die Polizei ordnet den bizarren Todesfall in der Düsseldorfer Altstadt als Unfall ein. Aber der Journalist Sven Berger hat Zweifel und begibt sich auf Spurensuche. Wir lesen von gefälschten Gemälden und tauchen beim Betrachten der Illustrationen tief ein ins Kunstmilieu der Landeshauptstadt.
Nächste Lesung mit Prüss
Wer sich in den nächsten Wochen zufällig nach Düsseldorf, meiner Lieblingswohnstadt verirrt, dem möchte ich – bei freiem Eintritt – eine Lesung mit dem Autor Jens Prüss in der Zentralbibliothek der Düsseldorfer Stadtbüchereien, KAP 1, empfehlen. In der vom ehemaligen Leiter des Literaturbüros NRW Michael Serrer organisierten und moderierten Reihe „Frisch gepresst“ wird der Autor am 21. Januar 2025, 18:00 Uhr, aus seinem Roman lesen.
Meine in dieser Geschichte letzten positiven Zeilen: Eine Lesung mit Jens Prüss lohnt sich, denn er versteht es auf intelligente und verschmunzelt-humorvolle Art, seine Zuhörer°innen zu unterhalten. Hoffen wir, dass dazu auch ein Glas guten Weins serviert wird – denn dann ist „der Prüss“ mit seinem Charme und Esprit einfach nicht mehr zu bremsen.
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Foto aus dem Buch: Edeltraud Prüss
Fotoporträt Jamin: Fyeo