Zum Inhalt springen

Geburtstag im Krankenhaus: Die Geschichte von meinem aggressiven, linken Bein

Seit einer Minute habe ich Geburtstag – heute, am 25. April. Ich liege auf der Station ZN32 des Universitätsklinikums Düsseldorf, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie. Mein ärgster Feind, mein linkes Bein, hat mich in diese Lage gebracht. Ich bin so sauer, dass ich heute unbedingt die Geschichte meines linken Beins erzählen muss, das seit meiner Kindheit versucht, mich zu drangsalieren und loszuwerden.

Im Moment bin ich ans Krankenbett gefesselt, weil mein linkes Bein nicht mehr mitspielt. Es bereitet mir bei jedem kleinen Schritt höllische Schmerzen. Mit den Jahren ist mein Bein immer hinterhältiger geworden. Ich bin hier in der Uniklinik zwar dank der Fürsorge der Mitarbeiter*innen gefühlt wie in einem Fünf-Sterne-Hotel untergebracht, aber zaubern können die Ärzte auch hier nicht.

Herde von Bakterien im Hüftgelenk

Am Karfreitag, dem Tag meiner Einlieferung ins Krankenhaus, befürchtete man sogar, dass mein Hüftgelenk, das mein linkes Bein mit dem sportlich-gesunden Rest meines Körpers verbindet, von einer Herde Bakterien überfallen und zerstört werden könnte. Im OP machte man sich schon bereit, die Haut über dem Gelenk aufzuschneiden und das Gelenk auszuspülen. Doch dann wurde Entwarnung gegeben – die Blutwerte waren wieder einigermaßen normal.

Das ist aber auch das Einzige, was an meinem Bein normal ist. Ich war vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, als sich mein linkes Bein zum ersten Mal meinem restlichen Körper widersetzte. Ich machte damals Doktorspiele, von denen ich noch nicht wusste, was das sind. Jedenfalls kümmerte sich die etwas ältere Tochter eines Nachbarn auf einer Wiese neben einem alten Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg um irgendetwas an meinem Körper. Ich fand das wohl sehr angenehm. Jedenfalls verlor ich die Orientierung und landete mit meinem Schienbein in einer Glasscherbe. Viel Blut. Viel Schrecken. Viel Angst. Viel Lärm durch eine Krankenwagensirene. Viel Schmerz durch die Nadelstiche des Arztes, der die Hautfetzen miteinander verband.

Ein langer Riss an der Wade

Wenige Jahre später baute ich mit Freunden eine kleine Bude an den Bunker. Mädchen spielten keine Rolle mehr; ich wollte Architekt werden. Als die Bude fertig war, stieg ich stolz auf das Bretterverlies – es brach unter mir zusammen. Glücklicherweise war an diesem Tag in der Nähe die feierliche Einweihung einer großen Brücke. Als der Bürgermeister die Schere ansetzte, um die obligatorische Schleife durchzuschneiden und die Brücke für den Verkehr freizugeben, schaute ich der Zeremonie zu, und eine Frau hinter mir rief: „Hiii, der hat ja ein offenes Bein.“

Fünfzehn Zentimeter lang war der Riss, der meine Wade am linken Bein so glatt durchschnitt, dass die Wunde nicht einmal blutete. So etwas macht es für die Ärzte nicht gerade leichter, die Wunde zusammenzunähen. Eine blutende Wunde reinigt sich immerhin selbst – das mussten nun die Ärzte übernehmen.

Mit einer Schere im Po zum Arzt

Als ich nach einer Woche aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bereitete meine Mutter mir im Wohnzimmer ein gemütliches Bett auf der Couch. „Setz dich solange in den Sessel, bis ich fertig bin“, sagte sie. Als ich mit irrem Schrei aufsprang, steckte in meinem Po eine Schere, die sie Stunden vorher dort hingelegt hatte. Die Ärzte im Krankenhaus erkannten mich sofort wieder.

Das war wohl die übelste Attacke meines linken Beins gegen mich. Wie schnell hätte doch die Schere im Zentrum meiner Männlichkeit landen können.

Jahrzehnte später wurde ich übrigens an diese Geschichte erinnert. Da öffnete sich die Naht an der Wunde an meinem Po. Ein guter Bekannter, der Urologe Prof. Thomas Vögeli, mit dem ich gemeinsam ein Buch über die Sexualität des Mannes geschrieben habe, schlug vor, mir bei der Verletzung zu helfen und die Wunde in einer Operation zu verschließen.

Gewagter Kopfsprung vom Beckenrand

Ich wunderte mich, dass er so schnell einen freien OP-Termin fand und sein OP-Personal dann so fröhlich war, mit Hütchen, geschminkt und mit Girlanden geschmückt. Bis ich erfuhr, dass in Düsseldorf an diesem Tag Altweiber gefeiert wurde. Ich bin sicher, dass man sich während der Operation vor Freude auf die Schenkel geklopft hat, als Vögeli, während mich der Anästhesist außer Gefecht gesetzt hatte, meine Geschichte mit der Schere zum Besten gegeben hat. Vögeli war für viele Geschichten gut, deswegen habe ich ja auch das Buch mit ihm geschrieben.

Ich war vielleicht zehn oder elf Jahre alt, als unser Sportlehrer vorschlug, wir sollten vom Beckenrand des Nichtschwimmerbeckens aus Kopfsprünge üben. Ich war schon damals nicht größer, aber länger als meine Klassenkameraden. Ich sprang – und schlug mit dem linken Knie auf dem Beckenboden auf. Große Schmerzen. Und nach einigen Monaten wuchs an meinem Knie ein Knochen, groß und größer.

Eine Narbe wie ein Reißverschluss

Das fremde Stück Körper wurde von den Ärzten irgendwann in einer Operation weggemeißelt. Seitdem ziert das Knie an meinem linken Bein eine attraktive Narbe. Sie hat ein wenig die Form eines Reißverschlusses. Sie sieht ähnlich aus wie die 20 Zentimeter lange Narbe an meiner linken Wade – das Ergebnis meines Sprungs auf die selbstgebaute Bude.

Ich finde, ich sollte meine Leser*innen nun nicht damit langweilen, zu beschreiben, wie mein linkes Bein mich erst mit einem Miniskusanriss und später mit einem Anriss der Achillessehne aus dem Verkehr zog. Von solchen Operationen hört man ja nach jedem guten Fußballspiel.

Geburtstag feiern im Krankenhaus

Viel spannender ist, dass mein Bein jetzt zu härtesten Maßnahmen gegriffen hat und mir mit Unterstützung der Wirbelsäule oder des Hüftgelenks extremste Schmerzen bereitet hat, sodass ich meinen Geburtstag heute im Krankenhaus verbringen muss.

Und nun frage ich mich seit Tagen: Wie feiert man im Krankenhaus einigermaßen fröhlich seinen Geburtstag zusammen mit einem linken Bein, das seit Jahrzehnten nichts Besseres zu tun hat, als einem immer und immer und immer wieder ein Bein zu stellen?!

Hintergrundberichte zu meinem Spezialgebiet „Vermisste Menschen und die Situation ihrer Angehörigen“ im Experts Circle von Focus-online.

#Shortstorys #Düsseldorf #jaminautor #BlogAufEinenCappuccino  #Literatur  #Kurzgeschichten #BookTok #StoryTok #BuchTok #Beinbeschwerden #Schmerzen

Foto linkes Bein des Autors: Jamin

Fotoporträt Jamin: Fyeo

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen