Es gibt in Deutschland seit Jahren viele überflüssige wissenschaftliche Studien. Vor allem kommt bei solchen „Werken“ viel Unsinn heraus, wenn man Bundesbürger*innen nach Meinungen, Neigungen und Befindlichkeiten anderer Bundesbürger*innen fragt.
Das neueste Produkt liefert jetzt ein Projekt des Lehrstuhls für Fernseh- und Crossmedialen Journalismus am Institut für Journalistik der TU Dortmund unter dem Titel „Journalismus & Demokratie – Ergebnisse der Journalismusbefragung 2024“
Zweifelhafter Journalisten-Status
„Journalistinnen und Journalisten in Deutschland – wer sind sie eigentlich?“, fragten die Verfasser der Studie und: „Wie sehen sie den Status quo des Journalismus und dessen Zukunft?“
Eine Frage unter dem Titel „Tatsächliche Parteineigung“ lautete: „Viele Leute neigen längere Zeit einer bestimmten politischen Partei zu, obwohl sie auch ab und zu eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen: Neigen Sie – ganz allgemein gesprochen – einer bestimmten Partei zu?“
Aus Neigung wird nahestehen
41 Prozent der befragten Journalisten sahen bei sich eine Neigung zur Grünen-Partei. In ihrer Erläuterung machten die Wissenschaftler allerdings aus der „Neigung“ zu einer Partei etwas ganz anderes.
Originalzitat: „41 Prozent der Befragten, Journalistinnen und Journalisten, gaben an, den Grünen nahezustehen.“
Was die „Welt“ aus Neigung macht
„Studie: Unter Journalisten kommen die Grünen auf 41 Prozent – AfD taucht gar nicht auf“, schrieb die „Welt“ am 29. Oktober 2024 als Überschrift zu einem Internet-Artikel und schlussfolgerte entsprechend der Darstellung der Dortmunder Wissenschaftler: „Laut der Langzeitstudie ‚Journalismus und Demokratie‘ 2024 gaben 41 Prozent der 525 befragten Journalistinnen und Journalisten in Deutschland an, den Grünen nahezustehen.“
Eine falsche Darstellung, denn die Studie hatte nicht die Befragten nach ihrer politischen Überzeugung gefragt, sondern nur danach, „welcher Partei – ganz allgemein gesprochen – sie zuneigen“.
Angst vor eindeutiger Frage
Besser wäre es natürlich gewesen, wenn die Dortmunder Wissenschaftler und die mit ihnen arbeitenden angehenden Journalisten klar gefragt hätten: Welche Partei wählen Sie?
Aber bei einer solchen direkten, eindeutigen Frage hätten vermutlich die Journalisten nicht mitgespielt. Wer welche Partei wählt, ist natürlich für die meisten Bundesbürger zu Recht Privatsache.
Der große Unterschied macht’s
Nun gibt es einen großen Unterschied zwischen den Begriffen „zuneigen“ oder „nahestehen“. Nahestehen bedeutet eine enge Bindung zu jemandem oder etwas zu haben.
Neigung ist eine in Intensität und Dauer auch Schwankungen unterworfene Vorliebe oder Hinwendung zu einem Objekt oder einer Person; Disposition für Einstellungen und Verhaltenstendenzen, die auf Gegenstände, Tätigkeiten, Erlebnisse und Lebensbereiche gerichtet sind.
Wissenschaftler, die sich beruflich mit Journalismus befassen, sollten so etwas wissen.
Neigung beeinflusst Berichterstattung
Doch es kommt in der Umfrage der Dortmunder Medienwissenschaftler noch schlimmer: Dem Satz „Journalistinnen und Journalisten neigen dazu, in ihrer Berichterstattung überwiegend die Positionen der Partei zu übernehmen, der sie am ehesten nahestehen“, stimmten 27 Prozent der befragten Journalistinnen zu, 34 Prozent antworteten „teils-teils“, 37 Prozent stimmten nicht zu und zwei Prozent antworteten mit „weiß nicht“ bzw. machten keine Angaben.
Auch das eine aberwitzige Frage: Da sollen befragte Journalisten Aussagen dazu machen, ob sie dem Rest der deutschen Journalisten zutrauen, dass sie aufgrund der Neigung zu einer Partei deren Positionen in ihrer Berichterstattung übernehmen. Kein Journalist, kein Mensch kann darauf eine vernünftige Antwort geben. Denn diese ist reine Gefühlssache, die mit keinerlei Fakten zu belegen und so unsinnig wie die Frage ist.
Genau so gut hätten die Dortmunder Wissenschaftler die 525 Journalisten fragen können, wie viele ihrer bundesdeutschen Kollegen wohl jeden Sonntag rote Socken tragen.
Die Frage hinter allen Fragen
Letztlich stellt sich bei dieser Studie primär eine Frage, die nicht behandelt wurde, aber permanent mit schwingt: Beeinflussen Journalisten, die der Grünen-Partei zuneigen, die Berichterstattung in den Medien?
Aber dazu müssen sie natürlich auch die Möglichkeit haben, die Berichterstattung zu beeinflussen. Das könnten, so sie das beabsichtigen, etwa politische Redakteure, Chefredakteure und Kommentatoren oder lokale Redaktionsleiter und die wenigen, die sich in der Lokalredaktion um Politik kümmern.
Frage an die Uni-Wissenschaftler
Sport-, Mode-, Reise- oder Food-Journalisten beispielsweise haben dazu nur selten Möglichkeiten. Auch können in der Regel freie Journalisten weniger Einfluss auf die politische Ausrichtung einer Zeitung oder Nachrichtensendung nehmen als etwa fest angestellte Redakteure.
Die Studie bleibt aber die Antwort schuldig, aus welchen Redaktionsbereichen die befragten Journalisten kommen.
Offene Frage an das Studien-Team
Ich habe darum dem Studien-Team folgende Frage gestellt: „Können Sie mir bitte mitteilen, aus welchen Redaktionsbereichen (Politik, Sport, Mode, Freizeit und so weiter) sich die befragten Journalisten zusammensetzen und welche Redaktionsbereiche wie hohe prozentuale Anteile an den Gesamt-Befragten haben?“
Die Antwort des Studien-Teams: „Nach den Ressorts haben wir 2023 zuletzt gefragt. Die Ergebnisse dazu finden Sie hier.“
2023 wurden 750 Journalisten befragt, 2024 nur 525. Die Ergebnisse der Umfragen können also nicht miteinander verglichen werden.
Hintergrundberichte zu meinem Spezialgebiet „Vermisste Menschen und die Situation ihrer Angehörigen“ im Experts Circle von Focus-online.
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Foto FAZ Hund: Jamin
Fotoporträt Jamin: Fyeo