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Short Story 3: Wie mich Facebook über den Tod eines Mannes informierte, der irgendwas mit Musik machte

Heute traf mich ein Post auf Facebook wie ein kleiner Stich ins Herz. Schnell, spitz und wie beim Vorübergehen. Ich las die Nachricht, dass Ralph gestorben war. Dazu ein Foto von ihm, er saß auf einer Café-Terrasse und zog genüsslich an einer Zigarre.

Todesnachrichten werden heute nicht nur am Telefon übermittelt oder persönlich von Auge zu Auge oder in Todesanzeigen der Tageszeitung mitgeteilt. Heute gibt es das flüchtige Medium Facebook, mit einem Fingerwischer wird einem der Abschied von Menschen nahegebracht. Blitzen gleich und doch für mich Momente großer Nachdenklichkeit. Denn kaum sehe ich ein Foto und ein R.I.P., dann weiß ich: Ein Mensch ist gestorben.

Ein Mensch wie eine vorübergehende Erscheinung. Manchmal ein Schatten im Gegenlicht, manchmal auf einem Fahrrad in der Vorbeifahrt, manchmal präsent und nah wie ein Freund. So kannte ich ihn. 

Ralph und ich haben uns nie viel zu sagen gehabt. Manchmal gab es einen kurzen Gruß. Manchmal wechselten wir ein paar Worte, an die ich mich heute nicht mehr erinnere. Manchmal war da nur ein kurzes Lächeln.

Aber immer war da eine grundsätzliche Sympathie. Zwischen Ralph und mir gab es so etwas wie eine unausgesprochene Freundschaft. Sie war nicht intensiv, sie war einfach da. Der Volksmund würde sagen: Die beiden konnten sich gut riechen.

Die Wissenschaft meint, Menschen haben die Fähigkeit, subtile chemische Signale wahrzunehmen, die von anderen Menschen abgegeben werden. Diese Signale vermitteln etwa Stimmungen und Attraktivität durch sogenannte Pheromone.

Ralph war mir eigentlich nie nah und doch nicht so fern wie die meisten Menschen. Ich hatte nie das Bedürfnis mich mit ihm anzufreunden oder lange Gespräche zu führen. Und trotzdem war er für mich wie ein Freund. Ich wusste nicht einmal, was er beruflich macht. Lange Zeit sah ich ihn nur in meinem Stammcafé, dem Schiff ahoi, in meinem Lieblingswohnstadtteil Düsseldorf-Oberkassel, wo er an einem Tisch vor seinem Laptop saß und die Finger nicht ungeschickt über die Tasten gleiten ließ. Ich saß an einem anderen Tisch, las Zeitung oder schrieb etwas in mein Notizbuch oder diktierte einen Text in mein iPhone.

Vielleicht war es diese Verbindung des Schreibens, die uns auf doch recht großer Distanz näher brachte. Menschen, die schreiben, sind doch wie heimliche Verbündete. Sie entwickeln Texte und bewahren sie manchmal für lange Zeit als ihr Geheimnis. Oder für immer. Manche schreiben Texte, die nie in ihrem Leben ein anderer Mensch liest. Vielleicht sind es dann die Erben, die vor dem Nachlass stehen. Vor einem Haufen handbeschriebener Tagebuchseiten oder vom Computer ausgedruckter Blätter, die sie dann ins Feuer oder in den Abfallcontainer werfen.

Für mich haben flüchtige Begegnungen immer eine geheimnisvolle Bedeutung. Man lernt einen Menschen nie kennen und kann sich seine eigene Welt zu dessen fremder Welt dazudenken. Menschen, die man nicht kennt, bieten viel Raum für die eigene Fantasie. 

Einmal habe ich einen Freund gefragt, was Ralph denn beruflich macht. „Irgendwas mit Musik“, antwortete er. „Irgendwas mit Musik, für den er einen Laptop benötigt“. 

Ich dachte mir, dass er vielleicht mit Musiktexten handelt. Oder Liedtexte schreibt. Oder wie ein anderer Bekannter von mir Musik komponiert, Lieder schreibt und Schlager produziert.

Ich werde wohl nie erfahren, was Ralph tatsächlich beruflich macht. Und ich bin auch gar nicht begierig, es zu wissen. Das Geheimnisvolle, das unsere Beziehung umgab, soll auch nach seinem Tod so bleiben. Das Unbekannte und Ungewisse gehört zum Leben in einer Großstadt. Man muss nicht jeden Menschen kennen. Nicht seine guten Seiten und nicht seine schlechten. Ralf war für mich einfach ein Mensch, den ich mochte. 

Zufällig habe ich auf Facebook von seinem Tod erfahren. Das ist die moderne Form, wie man heute Todesnachrichten erhält. Ich erinnere mich an eine frühere Mitbewohnerin in einer Wohngemeinschaft. Sie war Jahrzehnte älter als ich, Pianistin und Gesangslehrerin. Sie studierte jeden Tag in der Tageszeitung die Todesanzeigen: „Dann kann ich mich darüber freuen, dass ich schon so viele überlebt habe. So ist mein Tag gerettet.“

Als ich sie kennenlernte, war sie vermutlich 75 Jahre alt, als sie starb, war sie wohl 90. Ihr Alter hat sie nie verraten. Aber sie hat schon während der Nazizeit klassische Musik gemacht, erzählte sie mir einmal. 

Und wo ich dies schreibe, fällt mir auf, dass auch Marta wie Ralph mit Musik zu tun hatte und ich auch die Pianistin nicht wirklich kannte. Obwohl sie mit mir mehrere Jahre in einer Wohngemeinschaft lebte, haben wir eigentlich nie über unsere Vergangenheiten gesprochen. 

Das mag daran liegen, dass ich ohnehin meist und am liebsten in der Zukunft lebe und mit meinen Gedanken darüber, was noch alles werden wird und was ich vorhaben werde und was mich an Überraschungen erwarten könnte. 

Marta und Ralph, die beide was mit Musik machten, sind tot. Im Gegensatz zu Marta freue ich mich nicht darüber, dass ich die beiden überlebt habe. Mein Gefühl ist ein leises Abschiednehmen. Es ist nicht schmerzhaft. Nicht einmal unangenehm. Es ist eine leise Melancholie in mir. Ein sanftes Gefühl von Trauer nur. 

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Fotoporträt Jamin: Jörg Haas http://peoplefactor.de

Foto Musik+Laptop: Jamin mit KI

(Zeitgleich veröffentlicht in meinem Freitags-Blog „Auf einen Cappuccino“ im Wirtschaftsportal Business-on.de)

 (Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, Personen oder Projekten ist zufällig. Die Short Storys orientieren sich an Visionen und in der Zukunft möglichen Entwicklungen in der Gesellschaft. Die Wahrheit befindet sich allerdings manchmal nur einen Schritt entfernt. Oder wie es Theodor Fontane einst ausgedrückt hat: „Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilige.“ )

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