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Short Story #7: Ich feier’ meinen Geburtstag mit einer Fünf-Prozent-Rabatt-Geburtstagskarte

Als ich noch ein Baby war, wurde mit mir Geburtstag gefeiert – wie, das habe ich vergessen.

Als ich noch ein winziger Junge war, hat man mit mir auch Geburtstag gefeiert – wie, das habe ich auch vergessen.

Als ich etwas älter war, wurde natürlich auch Geburtstag gefeiert – vermutlich habe ich mich über die Geschenke gefreut, aber das habe ich auch vergessen.

Als Jugendlicher wurde sicherlich jedes Jahr mein Geburtstag gefeiert, und ich habe mich über noch mehr Geschenke gefreut – wie intensiv, das habe ich schon lange vergessen.

Als junger Mann habe ich vermutlich auch Geburtstag gefeiert – ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, mit wem und wie ich gefeiert habe, denn die meiste Zeit habe ich immer schon im Heute und im Morgen gelebt.

Dann war ich schließlich ein richtiger Mann und recht erwachsen, und ich habe Geburtstag gefeiert – aus einem unbekannten Grund scheine ich das verdrängt zu haben, wie und mit wem ich jeden Geburtstag gefeiert habe, mit dem ich älter wurde.

Und dann wurde ich 49 Jahre alt und habe bei unserem Lieblingsitaliener in meinem Lieblingswohnstadtteil Düsseldorf-Oberkassel richtig fett gefeiert, mit 49 Freunden und Bekannten. Von abends um Acht bis morgens um Fünf haben wir geredet und gelacht, gegessen und getrunken – und das war der größte Geburtstag meines Lebens, an den ich mich erinnere, und an dem ich mir vorgenommen habe, mindestens 100 Jahre alt zu werden.

An die folgenden Geburtstage erinnere ich mich nur sehr verschwommen – sie waren keine Höhepunkte, aber sie waren auch nicht so unangenehm, dass ich sie gerne aus meinem Leben streichen würde.

Doch während ich in jungen Jahren viele Geschenke bekommen habe, an die ich mich heute nicht mehr erinnere, habe ich in den Jahren seitdem mehr und mehr darum gebeten, mir keine Geschenke mehr zu machen.

Ich habe alles, was mich glücklich macht. Erinnerungen an schöne Zeiten, die nichts mit Geburtstagen zu tun haben. Wünsche für morgen, die auch recht wenig mit Geburtstagen zu tun haben. Und Gedanken über Geburtstage, die mich wehmütig stimmen.

Da ist etwa der Geburtstag, an dem ich mit meinem lange verstorbenen Freund Michael bei Dreharbeiten in Hamburg unterwegs war und am Abend das gesamte Team Peter-Lieder für mich sang. Peterle, mein liebster Peterle …

Das war für mich wohl der schönste Geburtstag, abgesehen von meinem 49. Geburtstag, an dem alle Freunde und Bekannten bei meinem damaligen Lieblingsitaliener etwas gemacht haben – Lieder gesungen, Reden gehalten, Rosenblätter geworfen, Rätsel gespielt, den Raum dekoriert, getanzt und gelacht.

Ein langes Leben und nur zwei Geburtstage, die von allen Geburtstagen dieses Lebens herausragend sind? Ist das viel, oder wenig?

Heute möchte ich nicht mehr Geburtstag feiern. Ich habe so viele Geburtstage gefeiert, dass ich mich an die einzelnen Ereignisse nicht mehr erinnern kann. Und ich frage mich ohnehin, warum wir überhaupt Geburtstage feiern.

Müssten nicht eigentlich die Menschen Geburtstag feiern, die den Menschen geboren haben? Sollten nicht diejenigen sich besonders freuen, die ein Kind auf die Welt gebracht haben? Aber wie viele Menschen auf der Welt haben Kinder bekommen, die besser nicht geboren worden wären, weil sie in Krieg und Elend und anderem Unheil aufwachsen müssen? Sind Geburtstage nicht auch Erinnerungen an die Übel in der Welt, die wir gerne verdrängen und vergessen?

Und: Wann war der erste Tag, an dem ein Mensch Geburtstag gefeiert hat? 

War es Christi Geburt, also Weihnachten? Oder noch früher? Haben schon Adam und Eva im Paradies Geburtstag gefeiert? Hat vielleicht der erste Adam der ersten Eva auf der Welt zum Geburtstag einen Apfel geschenkt – oder umgekehrt?

Das erinnert mich noch einmal daran, dass ich heute keine Geschenke mehr zum Geburtstag geschenkt bekommen möchte. Ich habe alles, was ich benötige. Und wenn ich an den Klimawandel denke, frage ich mich, ob wir nicht damit beginnen sollten, das Schenken von Geschenken an Geburtstagen ganz zu vermeiden. Oder vielleicht sollten wir nur noch Äpfel schenken?

Ich habe mich eigentlich noch nie wirklich über Geschenke gefreut. Sie sind für mich Verpflichtung, mehr Gefühle zu zeigen. Gefühle der Freude und Dankbarkeit. Ich freue mich mehr über die Gesten der Menschen, die ich gerne habe, und die über Geschenke zum Ausdruck gebracht werden. Heute sind Geburtstagsgeschenke auch Marketing-Artikel. Dennś Biomarkt schickte mir in diesem Jahr eine Geburtstagskarte und schenkte mir fünf Prozent Rabatt auf meinen nächsten Einkauf. Eine sehr freundliche Geste, die mir das Geschäft, ob ich will oder nicht, noch sympathischer als ohnehin schon macht. 

Warum machen wir Geburtstagsgeschenke? 

Nein, darauf antworte ich jetzt nicht. Heute freue ich mich über einzelne Blumen, weniger über ganze Blumensträuße als Geschenk.

Ich erinnere mich nur noch an so wenige Geburtstage, und ich stelle fest, dass immer weniger Menschen ihre Geburtstage feiern oder überhaupt noch feiern können, weil sie schon lange gestorben sind.

Vielleicht ist das der einzige Grund, warum es Geburtstage gibt. Denn an Geburtstagen erinnern wir uns gerne an Menschen, die nicht mehr unter uns sind. Eigentlich ist das der einzige Tag, an dem wir uns noch an sie erinnern.

Wer prominent ist, den lässt man sogar zum 100sten, 1000sten oder 10.000sten Geburtstag aufleben. Da werden dann schöne Geschichten in den Medien veröffentlicht, darüber, was für ein toller Mensch der Verstorbene oder die Verstorbene war.

Doch das Schönste sind eigentlich die stillen Gedanken, die sich Verwandte, Freunde und Bekannte machen, wenn sie sich am Geburtstag der lange Abwesenden erinnern. Meist ganz ohne Trauer, meist mit einigen schönen Erinnerungen.

Darauf freue ich mich, wenn ich später eines Tages nach meinem 100. Geburtstag sterben werde und sich meine Verwandten, Freunde und Bekannten hoffentlich gerne an mich erinnern werden. Und ganz still, ohne Aufregung, werden sie ihr Glas erheben und einen Schluck Wein auf mein Leben trinken und vermutlich sagen, dass ich die meiste Zeit ja ganz in Ordnung gewesen sei. Bis auf die paar Mal, an denen ich es nicht war. Zum Beispiel, wenn ich keinen Geburtstag feiern wollte, obwohl man so gerne mit mir gefeiert hätte. 

Aber manchmal und gerade an Geburtstagen sollte der Mensch das machen, an dem er den meisten Spaß hat. Und sei es, einmal so richtig ganz allein zu sein, um über sich, die Welt und deren und seine Zukunft nachzudenken.

(Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, Personen oder Projekten ist vorwiegend zufällig und nur in Einzelfällen so vorgesehen. Die Short Storys sind oft von wahren Ereignissen inspiriert und orientieren sich darüber hinaus an Visionen und in der Zukunft möglichen Entwicklungen in der Gesellschaft. Die Wahrheit befindet sich allerdings manchmal nur einen Schritt entfernt. Oder wie es der Schriftsteller und Journalist Theodor Fontane einst ausgedrückt hat: „Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilige.“)

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Foto Fünf-Prozent-Rabatt-Geburtstagskarte: Jamin

Fotoporträt Jamin: Jörg Haas http://peoplefactor.de

(Zeitgleich veröffentlicht in meinem Freitags-Blog „Auf einen Cappuccino“ im Wirtschaftsportal Business-on.de)

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