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Short Story #9: Jetzt wollen auch die Angehörigen die Suche nach vermissten Arian (6) fortsetzen

Wann ist der richtige Zeitpunkt, die Suche nach einem vermissten Kind zu beenden? Nach einer Woche, nach zwei oder drei? Wenn es nach den Eltern, Verwandten und vielen anderen mitfühlenden Menschen geht, sollte eine Suche erst dann beendet werden, wenn das Kind wiedergefunden wurde.

Das ist verständlich, aber offensichtlich nach Meinung des Innenministeriums in Niedersachsen unrealistisch. Manchmal gibt es, in einem begrenzten Gebiet keine Suchmöglichkeiten mehr, manchmal stehen die hohen Kosten für Polizei-Hundertschaften und Spezialkräfte wie Hubschrauber, Hundeführer oder Drohnenexperten dagegen.

Polizei reagiert mit Unverständnis

Die Suche nach dem sechsjährigen Adrian in Bremervörde-Elm wurde von Polizei und niedersächsischem Innenministerium nach einer Woche beendet. Eine richtige Maßnahme? Ich habe das 

öffentlich in meiner Kolumne und in Interviews mit Zeitungen und dem TV-Sender RTL bezweifelt.

Die Polizei reagierte auf meine Vorwürfe, die Suche zu früh zu beenden, laut der Zeitung MerkurDE mit Unverständnis: „Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA regierte der Sprecher der Lüneburger Polizei Heiner van der Werp irritiert auf die Vorwürfe des Experten: ‚Das ist eine persönliche Einschätzung von Herrn Jamin. Diese respektieren wir‘. Trotzdem wundere er sich darüber, dass jemand Außenstehendes ein solches Urteil fällen würde ‚Wir haben acht Tage auf Hochtouren gesucht‘, sagt er. Man habe mit der Bundeswehr zusammengearbeitet, viele technische Geräte genutzt und nie auf die Kosten geschaut. ‚Am Ende ist es aber so, dass wir uns in unserer Suche irgendwann auf Hinweise und tatsächliche Ansatzpunkte beziehen mussten. Und wir haben hier keine Ansatzpunkte mehr gehabt‘, schließt der Sprecher“.

7500 Fußballfelder gründlich durchsucht?

Keine Ansatzpunkte mehr? In einer Woche kann man nicht ein Gebiet von 5300 Hektar, also rund 7500 Fußballfelder, gründlich durchsuchen. Denn das bedeutet: Im Durchschnitt haben die rund 1000 täglich anwesenden Helfer pro Person in einer Woche mehr als sieben Fußballfelder durchsucht. 

Unwirksames Gelände, Häuser und Höfe, gesperrte Gebiete. Wälder, Felder, Gewässerufer. Das kann man nicht in einer Woche schaffen. Wenn man nicht genug Spuren gefunden hat von Arian, dann muss man so lange suchen, bis man die Spuren findet. Denn das Kind ist ja dagewesen und hat im Gebiet rund um sein Elternhaus Spuren hinterlassen.

Erhöhte Aufmerksamkeit nötig

In dem Fachbuch „Polizeiliche Bearbeitung von Vermisstenfällen“ schreiben die Autoren, der Leitende Kriminaldirektor a.D. Horst Clages und der Kriminaloberrat a.D. Klaus-Dieter Schlieper, dass „Besonderheiten des Suchraumes erhöhter Aufmerksamkeit bedürfen“: „Im Gelände ohne Bebauung ist insbesondere hinzuweisen auf Versteck- oder Verbergungsmöglichkeiten wie Gräben, Wasserlöcher, Röhren, Höhlen, Gruben, Dickicht, Sumpf  u.a. 

Zu beachten sind Veränderungen des Bewuchses in Form von Kampf-, Liege- und Schleifspuren, Erdarbeiten und Grabestellen, abgelegte Behältnisse, Reisighaufen, Holzstapel, Mülldeponie u a. In bebauten Gebieten ist insbesondere hinzuweisen auf Versteck- oder Verbergungsmöglichkeiten wie leer stehende Gebäude, Abrissgebäude, Sammelbehälter, Nebengelasse, Kanalisation, Lager- und Spielplätze, Sperrmüllablagerungen, Grünanlagen, frische Mauer-, Beton- und Erdarbeiten.“

Innerhalb von Objekten sei – so Carges/Schlieper (Seite 96) – insbesondere hinzuweisen auf unbewohnte, ungenutzte und verschlossene Räumlichkeiten, Gemeinschafts- und Abstellräume, Betriebs- und Versorgungsräume, Aufzüge, konstruktiv bedingte Nischen und Hohlräume. Zu achten ist auf Orte mit Anzeichen für einen zeitweiligen Aufenthalt, .z B. Nutzung zur Übernachtung, Gerümpelhaufen, Behältnisse wie Kühlmöbel, Truhen, Fässer oder Kisten.

Suche nur beenden bei Erfolg

Auf Seite 98 ihres Leitfadens für Polizisten schreiben die beiden Polizeiexperten nicht, dass eine Suche nach einem kleinen Kind nach einer Woche zu beenden sei: „Sie ist zu beenden oder zu unterbrechen, wenn die vermisste Person aufgefunden worden ist, die bisherigen Suchmaßnahmen zu dem Ergebnis geführt haben, dass der Aufenthalt der vermissten Person im Suchraum auszuschließen ist oder die Fortführung der Suchmaßnahme erkennbar ohne Erfolg sein wird, aufgrund von meteorologischen Bedingungen, Sichtverhältnissen oder der Erreichung der Leistungsgrenze der Suchkräfte das Ziel der Suchmaßnahme nicht mehr erreicht werden kann und eine Unterbrechung der Suchmaßnahme erforderlich ist“.

Im Gegenteil. Über eine Beendigung einer Vermisstensuche schreiben die Polizei-Experten: „Die Entscheidung über die Beendigung oder Unterbrechung der Suchmaßnahme ist, solange die vermisste Person nicht aufgefunden werden konnte, unter Berücksichtigung des Gefährdungsgrades für Leben und Gesundheit der vermissten Person zu treffen. Bei Unterbrechung der Suchmaßnahme ist sicherzustellen, dass die Suchaktion unverzüglich wieder aufgenommen werden kann, sobald die Voraussetzungen dafür vorliegen.“

Lob nur für erste Suchmaßnahmen

In meiner kritischen Kolumne zur frühzeitigen Beendigung der Suche nach dem Kind habe ich auch das anfängliche große Engagement der Polizei begrüßt: „Eine Woche lang hatte die Polizei in außergewöhnlich vorbildlicher Weise und mit enormem Aufwand und viel Kreativität nach dem Jungen gesucht. Mit großer Anteilnahme der Bevölkerung, Feuerwehr, Bundeswehr, Polizist*innen und anderen Rettungskräften – jeden Tag waren mehr als 1000 Menschen an der Suche beteiligt.“

Unverständlich ist für mich nach wie vor, dass man die Suche so früh abgebrochen hat. Am 3. Mai haben die Angehörigen über eine Bekannte, Pseudonym „Doro VW“, per Facebook nach Spezialisten gesucht, die Erfahrungen mit der Suche nach Personen haben.

Offensichtlich sind auch die Eltern und Angehörigen von Arian nicht damit einverstanden, dass die Suche abgebrochen wurde.

Angehörige bitten um Suchhilfe

„⭐️ Bitte um eure Hilfe ⭐️ Da wir Arian leider noch nicht gefunden haben und wir noch nicht bereit sind die Suche nach Arian aufzugeben haben wir eine Bitte an euch: Wir suchen Profis, die uns in der Suche nach Arian unterstützen wollen ⭐️💚⭐️ Die Suche nach Arian, insbesondere in unserer Region, erfordert weitreichende Fachkenntnisse und viel Erfahrung im Umgang mit unwegsamen Gelände. Wir bieten euch dafür ein detailliertes Briefing über die bereits bestehenden Erkenntnisse in der Suche nach Arian an, damit wir gemeinsam weiter nach ihm suchen können 💚🙏💚 

🙏 Wenn ihr eine professionelle Suchorganisation kennt oder selbst in einer solchen tätig seid, dann würden wir uns freuen, wenn ihr uns kontaktiert. Die Übernahme der Kosten kann leider nicht durch uns erfolgen und das möchte ich unbedingt vorab mitteilen 🙏 Wir haben dafür eine E-Mail Adresse eingerichtet und bitten euch uns zu kontaktieren unter: E-Mail: Fuer-Arian@web.de, Betreff: Wir möchten bei der Suche helfen.“

Das Todesurteil ist gefällt

Da jede Stunde, jeder Tag inzwischen bei der Suche nach dem Kind zählt und das Leben von Adrian sich wg. Hunger und Durst vermutlich in höchster Gefahr befindet, wird dieses private Engagement vermutlich zu spät kommen. Wie ich schon in der Überschrift meiner Kolumne am 1. Mai 2024 geschrieben habe: Short Story #8: Niedersachsen überlässt vermissten 6-jährigen Arian seinem Schicksalstod.

(Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, Personen oder Projekten ist meist zufällig und nur in Einzelfällen so vorgesehen. Die Short Storys sind oft von wahren Ereignissen inspiriert und orientieren sich darüber hinaus an Visionen und in der Zukunft möglichen Entwicklungen in der Gesellschaft. Die Wahrheit befindet sich allerdings manchmal nur einen Schritt entfernt. Oder wie es der Schriftsteller und Journalist Theodor Fontane einst ausgedrückt hat: „Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilige.“ )

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Foto Adrian: privat

Fotoporträt Jamin: Jörg Haas http://peoplefactor.de

(Zeitgleich veröffentlicht in meinem Freitags-Blog „Auf einen Cappuccino“ im Wirtschaftsportal Business-on.de)

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